Linktipp der Woche: Kinder mit personalisierte Kinderbücher in der Entwicklung fördern

Last Christmas

Besinnliche Weihnachtsgeschichte von Betty Brown


Diese längere Weihnachtsgeschichte steht Ihnen auch als PDF zur Verfügung

sterntaufe

Es ist kurz vor Weihnachten.
Draußen liegt zentimeterdick der Schnee. Alles sieht so märchenhaft aus.
Die Hausdächer sind mit einem Schneemantel überzogen und die Bäume tragen weiße Pelzmützen. Nun blinzelt auch die Sonne durch die grauen Wolken. Bald wird sie mit ihrer enormen Kraft die weiße Pracht zum Schmelzen bringen und die Dachlawinen werden herabstürzen und eine Gefahr für Mensch und Tier sein. Freude und Leid liegen eben dicht beieinander. Gestern war der zweite Advent.

Langsam beginnt sich bei mir Weihnachtsstimmung breit zu machen und ich beginne mit Plätzchen backen. Den Teig für die Vanillekipferln habe ich gestern schon vorbereitet und im Kühlschrank gelagert. Nun gehts ans Ausrollen des Teiges. Damit er nicht an der Arbeitsplatte fest klebt, bestreue ich sie mit etwas Mehl, nehme einen Teil vom Teig und rolle ihn mit Hilfe einer Frischhaltefolie aus. Anstatt Kipferln zu formen, steche ich sie immer mit einer Mondform aus. Das geht viel schneller.

Ich schalte das Radio ein. Mit Musik geht die Arbeit noch besser von der Hand. “Super Trooper” von Abba lässt mich beschwingt das erste Blech befüllen. Dann erklingt “Du bist vom selben Stern” von Ich und Ich. Auch ein schöner Song, finde ich. Statt Monde steche ich auch ein paar Sterne mit aus. Warum sollen es immer nur Kipferln sein? Zwei Bleche sind belegt, jetzt ab damit in den Ofen. Heissluft ist schon eingeschaltet auf 160°. Zwölf Minuten etwa müssen die Plätzchen backen. Das dritte Blech werden Engel. Ich liebe Engel! Mein Wohnzimmer ist voller Engelsfiguren in allen Größen. “Last Christmas” erklingt aus dem Radio. Letzte Weihnacht! Fast ein Jahr ist seitdem vergangen. Damals ging es mir nicht so gut. Letzte Weihnacht! Damals wollte ich weggehen, für immer.

Last Christmas! In einem Kopf gibt es plötzlich einen Stich. Ich bestreue die Arbeitsfläche mit Mehl, nehm einen Teil vom Teig und rolle ihn mit Hilfe von Frischhaltefolie aus. Mit einer Mondform steche ich Kipferln aus. Warum Kipferln? Wo ist meine Engelsform? Ich war doch schon beim Engel ausstechen. Zwei Bleche mit Monden und Sternen müssten schon im Ofen sein. Der Ofen ist aber noch leer! Das Radio ist aus. Seltsam! Da klingelt das Telefon. Auch das noch! Ich wasche meine Hände, trockne mich schnell ab und greife zum Hörer. “Petra Berger, guten Tag!”
“Hallo Petra, hier ist Sandra. Wollte nur noch mal nachfragen, ob alles klappt. Du und Claus, Ihr kommt doch heut um 19.00 Uhr zu meiner Geburtstagsfeier, oder? Ich freu mich schon riesig, Euch wieder mal zu sehen.”
“Äh, Geburtstagsfeier, heute? Ich dachte, die ist erst am Samstag?”
“Aber Petra, heut ist Samstag und am nächsten Samstag da bin ich doch schon mit Jürgen im Urlaub in Thailand.”
Spinn ich jetzt oder erlaubt sich meine Freundin Sandra einen Scherz mit mir? Sie war doch im letzten Jahr mit Jürgen in Thailand, anlässlich ihres 50. Geburtstages!
“Du fliegst schon wieder nach Thailand? Und mit Jürgen? Vertragt Ihr Euch wieder?”
“Wieso schon wieder nach Thailand? Ich war noch nie in Thailand! Ach, Du meinst, weil wir uns neulich gestritten haben? Das waren doch nur Kleinigkeiten. Natürlich vertragen wir uns wieder.”
“Aber Ihr seid doch getrennt!”
“Petra, was ist los? Geht es Dir vielleicht nicht gut”?
“Was ist heut für ein Tag und wie alt wirst Du noch mal, Sandra?”

Stille! Dann Sandras Stimme diesmal etwas lauter und etwas genervt: “Heut ist Samstag, der 10. Dezember und ja, ich werde 50, na und? Davon geht die Welt nicht unter. Und ob Du`s glaubst oder nicht, ich freu mich drauf! Du bist doch auch schon 50.”
Wieso wird Sandra plötzlich nochmal 50? Wieso ist Samstag der 10. Heut ist doch Montag, der 10. Dezember 2012. Weil heuer ein Schaltjahr ist, fiel der Tag damals auf einen Samstag. Aber das ist ein Jahr her!!! Irgendwas stimmt hier nicht!
“Hab doch nur Spaß gemacht”, entgegne ich, obwohl es alles andere als nur Spaß ist. Was läuft hier? “Erstmal alles Liebe und Gute zu Deinem Geburtstag!” Ich versuche, meine Stimme fröhlich klingen zu lassen
“Dankeschön! Ach, bin ich froh, ich dachte schon, mit Dir wär was nicht in Ordnung. Also ich freu mich auf Euch beide! Bis heut Abend, dann tschau!
“Tschau, bis dann!”

Ich geh zurück zu meinen Plätzchen. Monde ausstechen. Wo ist die Sternform und die Engelsform? Mein Blick fällt zum Fenster. Wo ist der Schnee plötzlich hin? Vorhin war doch noch alles weiss draußen. Das kann doch nicht so schnell weg getaut sein! Ich befülle 3 Bleche nur mit Monden und backe sie nacheinander. Irgendwie brummt mir der Kopf. Ich geh zum Briefkasten und hole die Zeitung und die Post. Es ist eine dicke Zeitung, Wochenendausgabe vom Samstag, den 10. Dezember 2011!!! Ich starre das Datum an. Wie ist das nur möglich? In der Post ist Reklame und eine Rechnung der Reparaturwerkstatt unseres Autos. Genau die gleiche Rechnung bekamen wir vor einem Jahr! Dieses Auto haben wir inzwischen gar nicht mehr. Ich haste in unsere Wohnung drei Treppenabsätze rauf. Ich muss mich hinlegen. Mein Kopf hämmert wie verrückt. Und mir ist schlecht. Die Zeitung und die Post fliegen achtlos auf den Wohnzimmertisch. Ich leg mich auf das Sofa und schließ die Augen. Meine Tigerkatze Maunzi legt sich neben mich und schnurrt. Ich streichle sie sanft. Katzen beruhigen ja und bestimmt stehe ich in ein paar Minuten wieder fröhlich auf und alles ist wieder normal. Wahrscheinlich haben mir meine Nerven nur einen bösen Streich gespielt oder ich hab geträumt.

Ich höre, wie ein Schlüssel die Eingangstür aufsperrt. Herein kommt mein Mann mit einer vollen Einkaufstasche.
“Hallo, Schatz, wo steckst Du? Ich hab alles bekommen in der Stadt. Hab auch noch Blumen für Sandras Geburtstag mitgebracht.”
Ich schrecke hoch und Maunzi springt ebenfalls geschockt vom Sofa. Mein Kopf pulsiert. Es war also kein böser Traum. Es ist Wirklichkeit. Genau diese Szene kenn ich doch schon. Und dann dämmert es mir: Ich bin ein Jahr zurückversetzt worden, wie und warum auch immer!
Claus kommt ins Wohnzimmer und seine schmutzigen Schuhe hinterlassen lehmige Fußabdrücke auf dem schönen blauen Veloursteppichboden.
“Oh nein, kannst Du nicht Deine Schuhe abputzen, bevor Du rein kommst!” fahre ich ihn an. “Ich hab den Teppich erst gereinigt”.
“Wie siehst Du denn aus”, entgegenet er stattdessen. “Du bist ja bleich wie ein Geist!”
“Ich – ich hab Migräne”, stammele ich und halte meinen Kopf. “Ich leg mich besser wieder hin.”
“Ja, tu das, damit Du heut Abend wieder fit bist. Ich mach mir inzwischen ein Wurstbrot.”
Meine Beine sind plötzlich wie Gummi und ich schleppe mich wieder zum Sofa um gleich darauf einzuschlafen.
Als ich ein paar Stunden später aufwache, fühle ich mich schon besser. Claus sitzt am Computer und schaut sich Fotos an.
“Hallo, geht es Dir wieder besser?” fragt er mitfühlend.
“Ja, danke. Soll ich uns einen Kaffee machen?”
“Oh ja, prima Idee.”
Ich schalte die Kaffeemaschine an und sortiere ein paar Plätzchen und Lebkuchen auf einen Teller.
“Sind die Kinder auch da?”frage ich meinen Mann
“Anna ist oben, Marie ist bei ihrer Freundin.”
Ich rufe nach Anna. Sie kommt aus ihrem Zimmer die Treppe herunter. Wenn es was zu Essen gibt, ist sie immer schnell da.
“Hi, Mam. Hast Du meine Socken noch nicht gewaschen?” fragt sie zur Begrüßung. Mit 25 Jahren wohnt sie immer noch zu Hause. Anstatt sich selber um ihre Wäsche zu kümmern, muss ich das immer machen. Aber ich bin es so gewohnt.
“Nein, das hat sich noch nicht gelohnt”, erwidere ich.”Morgen ist wieder genug Wäsche da für eine Maschinenladung.”
“Na toll”, mault sie, gießt sich ein Glas Cola ein und belädt ihren Teller mit Plätzchen und Lebkuchen. Genüsslich verspeist sie diese.
“Für heut Abend ist eine Pizza für Dich und Marie im Kühlschrank”, sage ich. “Ich hab sie heut Vormittag frisch gemacht. Wir sind bei Sandra zum Geburtstag eingeladen.”
“OK, danke”.
Wenigstens mal ein Dankeschön. Das hör ich viel zu selten. –immer ist alles selbstverständlich was ich mache.

Auch Marie wohnt mit ihren 22 Jahren noch immer bei uns. Als Krankenschwester verdient sie nicht so viel, dass sie sich eine eigene Wohnung leisten kann. Anna hat auch nur eine befristete Arbeitsstelle in einer Anwaltskanzlei. Heutzutage kriegt man fast nur noch befristete Arbeitsverträge. Die jungen Leute haben es schon nicht leicht. Da kommt man ihnen als Eltern natürlich gern entgegen und unterstützt sie wo es geht. Wir haben ja Platz in unserer Vierzimmerwohnung, warum sollten sie sich da selber in Unkosten stürzen? Aber ein kleines bisschen Anerkennung könnte man schon erwarten. Schließlich war ich immer für die beiden da, seit ihrer Geburt.
Heut ist Sandras Geburtstag und ich weiss genau, wir werden zu spät kommen, weil Marie die Chaotin wieder irgendein wichtiges Kleidungsstück nicht finden kann. Sie braucht es genau in dem Augenblick, als Claus und ich am Gehen sind. Ich helf ihr suchen und es entbrennt wieder mal ein heftiger Streit über ihre Schlamperei. Natürlich ist ihre geliebte Bluse unter einem Stapel von Wäsche, der sich auf einem Stuhl türmt.
“Oh nein”, ruft sie entsetzt. “Ich brauch die unbedingt für heut Abend. Kannst Du sie mir noch bügeln, bitte!”
Wie jedesmal lass ich mich breitschlagen, während Claus schon genervt den Gang hin und her läuft und ständig auf die Uhr schaut.
Mit 20 Minuten Verspätung kommen wir bei Sandra in der Gaststätte, wo die Feier stattfindet, an. Wir entschuldigen uns und gratulieren mit einer innigen Umarmung unserer Freundin zum Geburtstag.und überreichen Blumen und ein Geschenk. Zum Empfang bekommen wir gleich ein Glas Sekt gereicht und stoßen mit ihr und einigen weiteren Gästen an. Ihre Familie ist da und noch ein paar Freunde, die wir so von Geburtstagen her kennen. Anfangs ist alles noch harmonisch, das Essen ist sehr lecker und wir führen eine angeregte Unterhaltung. Doch der Alkohol fließt und Claus ist ja nie einem Gläschen abgeneigt. Ein Glas Wein hier und nach jedem Menügang nochmal eins. Danach wird auf Schnaps umgestiegen.und schließlich gibt es auch noch Whiskey. Während ich nur zum Essen ein Glas Wein trinke und danach bei Wasser bleibe, ist Claus schon sehr angeheitert und fängt an, schlechte Witze zu erzählen. Mir ist das alles so peinlich. Ich weiss genau, dass alles in einem fürchterlichen Fiasko enden wird, aber verhindern kann ich es trotzdem nicht. Claus beginnt mit der jungen Bedienung zu flirten.Die geht auch noch voll darauf ein. Warum hab ich nicht eingegriffen? Ich wusste doch, was kommt. Claus geht nach draußen und ich weiss auch, dass ich ihn und die Bedienung wenige Minuten später erwische, wie sie zusammen in einem Nebenraum knutschen. Und wieder hole ich meinen Mantel und verlasse fluchtartig das Restaurant. Bis zum Bahnhof ist es nicht weit und von da aus fahre ich mit demTaxi nach Hause. Es ist genau so wie vor einem Jahr. Warum muss ich das alles nochmal erleben? Was hat es für einen Sinn, wenn ich sowieso nichts daran ändern kann? Ist das Schicksal tatsächlich vorgegeben? Egal was kommt, auch wenn man vorher schon alles weiss, man kann nichts aufhalten oder ungeschehen machen?

Ich gehe in das gemeinsame Schlafzimmer und schließe ab. Zum ersten Mal. Soll Claus doch auf dem Sofa schlafen, wenn er überhaupt zum Schlafen heim kommt. Es ist nach 1.00 Uhr, als ich ihn kommen höre. Lautstark knallt die Eingangstür ins Schloss. Bald darauf fällt ein Kleiderbügel aus der Garderobe zu Boden. Claus trampelt die Treppe rauf und rüttelt an der Schlafzimmertür. Ich reagiere nicht. Er rüttelt und brüllt: “Mach die Türe auf, was soll das!” Ich gebe keine Antwort. Irgendwann hört er damit auf und fluchend zieht er von dannen. Endlich Ruhe! Die Kinder sind anscheinend auch noch nicht da. Gott sei Dank, dann haben sie wenigstens nichts mit bekommen.
An Schlaf ist natürlich nicht zu denken. Ich wälze mich von einer Seite auf die andere und gucke halbstündlich auf die Uhr. Genau wie vor einem Jahr. Morgen wird Claus mit einem Blumenstrauß zum Frühstück erscheinen, den er wohl am Bahnhofskiosk gekauft hat. Er denkt, damit ist wieder alles aus der Welt. Aber das ist es nicht. Anschließend wird er mir Vorhaltungen machen, dass ich einfach die Feier verlassen habe. Sowas kann man doch einer Freundin nicht antun! Ich trinke meinen Kaffee, ess ein Brötchen und nehm zwei Aspirin.
“Schon wieder Migräne?” fragt Claus. “Dann trink doch nicht so viel.”
Ich geh hoch. “Ich hab nicht viel getrunken, im Gegensatz zu Dir”, werfe ich ihm an den Kopf. “Du weisst ja nie, wann Schluss ist!” Ich räum mein Frühstücksgeschirr in die Küche und stelle es in den Geschirrspüler. Claus trägt seine Sachen nur in die Küche und stellt es ab. Dann geht er wieder an seinen Computer.
Sandra ruft an und fragt, wie es mir geht. “Claus sagte, du hattest wieder deine Migräne, deshalb bist du nach Hause. “
“Migräne, ja es wurde plötzlich ganz schlimm!” Ich habe keine Lust für Erklärungen. “Danke nochmal für alles, Sandra. Und – flieg lieber nicht mit Jürgen nach Thailand. Es – es wäre besser für Euch beide!”
“Warum? Hast Du etwa eine Vorahnung? Falls das Flugzeug abstürzt, dann ist es eben so bestimmt,” meint Sandra leichthin.
“Nein, nur Thailand ist gefährlich., die kleinen Thailänderinnen und so. Männer um die 50 fallen da leicht auf solche rein. Du weisst schon, die Hormone!”
Sandra lacht. Aber doch nicht Jürgen! Da pass ich schon auf, dass er keine Dummheiten macht.” Wenn sie wüsste!
“Du und Claus seid beide im selben Alter wie wir und da ist doch auch keine Gefahr, oder? Bei Euch ist doch alles in Ordnung?”
“Ja, natürlich”, lüge ich. “Es sind ja nicht alle Männer gleich”.

Die zwei fliegen für drei Wochen nach Thailand und im neuen Jahr werden sie sich trennen wegen einer Thailänderin, in die sich Jürgen unsterblich verliebt. Aber das können sie natürlich noch nicht wissen.
Doch ich weiß es und kann es wieder nicht verhindern.
Marie zieht noch vor Weihnachten zu ihrer Freundin in eine Dreizimmerwohnung. Anfangs kommt sie noch täglich heim zum Essen, dann nur noch am Wochenende. Es ist ungewohnt für mich nach all den Jahren und es schmerzt schon etwas, aber andererseits habe ich dadurch auch mehr Freiraum. Und Anna ist ja auch noch da.
Aber wie sieht mein Leben aus? Täglich derselbe Trott. Katze füttern, Frühstück machen, aufräumen, einkaufen, waschen, putzen, kochen. Claus wollte nie, dass ich arbeiten gehe, auch als die Kinder schon größer waren. Er verdient schließlich genug für uns beide. Ausserdem genießt er es, dass ich daheim bin und für alles sorge. Es würde ihm nicht gefallen, wenn er z.B. Urlaub hätte und ich müsste vielleicht arbeiten. Womöglich auch am Wochenende. Wenn er aus der Arbeit kommt, kriegt er sein warmes Essen, das ich für ihn gekocht hab. Das möchte er natürlich nicht missen. Es ist schön für ihn, dass ich immer zur Verfügung stehe.
Am Abend sitze ich meistens allein vor dem Fernseher und Claus an seinem PC. Er gibt vor, zu arbeiten, aber ich weiss genau, dass er das nicht tut. Er surft im Internet. Dabei trinkt er Wein und auch stärkere Sachen und denkt, ich merke es nicht. Wie oft hat er schon beteuert, nichts mehr zu trinken, als ich ihn darauf angesprochen habe. Ich mach mir schließlich Sorgen um ihn. Seine Versprechungen halten jedoch nie lange an. Wahrscheinlich wird sich nie mehr was ändern. Seine Arbeit fordert ihn sehr viel. Claus ist Abteilungsleiter in einer großen Firma und hat sehr viel Verantwortung. Aber das haben andere auch und trinken trotzdem nicht. Irgend eine Ausrede braucht man wohl dafür.
Eigentlich hätte ich allen Grund, zur Flasche zu greifen. Stattdessen bin ich oft niedergeschlagen, ja sogar teilweise depressiv und leide immer häufiger unter Migräne. Irgendwas muss sich ändern, so kann es nicht weiter gehen!
Kurz vor Weihnachten kommt mit der Post eine Fotokarte aus Thailand an. Sandra und Jürgen am Strand in Phuket eng umschlungen. Sie sind gut angekommen, schreibt Sandra und sie genießen diesen Traumurlaub.
“Die sehen richtig glücklich und erholt aus”, meint Claus, als ich ihm die Karte am Abend zeige.
“Ja, noch”, entgegne ich, “aber nicht mehr lange.”
“Wie meinst du das?”
Verflixt, ich hab mich verraten. Was soll ich jetzt sagen?
“Ich meine, dass sie ja bald wieder nach Hause müssen. Dann, dann hat sie der Alltag wieder,” stottere ich.
“So ist das nun mal. Nichts hält ewig.”
Nichts hält ewig, meint er auch das mit uns?
Am Tag vor Heilig Abend wird bei uns immer der Weihnachtsbaum aufgestellt. Claus drapiert ihn schimpfend in den Christbaumständer, weil er nie so passt, wie er sollte. Schließlich hat der Baum die richtige Position und Claus kann die Beleuchtung anbringen. Den restlichen Baumschmuck hänge ich an unsere Tanne. Als alles fertig ist und der Baum in festlichem Glanz erstrahlt, meine ich jedes Mal, dass wir den bisher schönsten Weihnachtsbaum haben.
Claus ist auch zufrieden und bewundert unseren Christbaum.
Dann kommt der Heilige Abend. Am Vormittag kaufe ich noch frische Sachen ein für die Feiertage: vom Metzger und vom Bäcker. Mittags gibt es nur Würstchen mit Semmeln, denn ich hab noch so viel zu tun. Geschenke müssen noch verpackt werden, ich muss noch die Wohnung putzen und die Pute für das festliche Abendessen vorbereiten. Dazu gibt es Blaukraut und Knödel.
Kurz nach 18.00 Uhr kommt Marie, ausnahmsweise mal fast pünktlich. Auch Anna ist da und wir vier beginnen mit einem harmonischen Abendessen. Als Dessert serviere ich Eissterne mit einer Schokoladensoße. Alle sind rundum satt und zufrieden.
Marie und Anna helfen mir beim Abwasch, der nicht mehr in den Geschirrspüler passt. Danach ziehen wir uns alle um zur Bescherung. Ich lege die Geschenke unter den Tannenbaum und läute das Glöckchen, das ich schon damals benutzt habe, als die Kinder noch klein waren.

Das Wohnzimmerlicht ist ausgeschaltet und nur der Baum erstrahlt in hellem Glanz. Maunzi ist fasziniert von einer Christbaumkugel und beginnt, damit zu spielen. Ich lenke sie mit einem Katzenspielzeug ab. Wir singen alle vier Weihnachtslieder. Früher haben wir sogar selber dazu gespielt und auch öfter Hausmusik gemacht. Mit Keybord, Flöte und Gitarre. Jetzt läuft nur der CD-Player dazu. Trotzdem ist es schön und endlich wird mir auch weihnachtlich zumute.
Die Geschenke werden ausgepackt. Jeder freut sich, weil er das Ersehnte bekommen hat. Claus hat mir eine wunderschöne Halskette geschenkt mit einem Diamantanhänger. Die hab ich mal in der Auslage eines Schmuckgeschäftes bewundert. Claus erhält einen Fotoapparat, den er sich ebenfalls gewünscht hat.
Danach gibt es Punsch und Plätzchen und wir sitzen alle gemütlich beisammen. Aber nicht sehr lange, denn dann verabschieden sich Marie und Anna, weil sie sich noch mit Freunden treffen wollen. Ich verstehe es ja und lass sie gehen.
Claus öffnet sich eine Flasche Rotwein und nicht lange danach ist sie leer.
“Musst Du schon wieder so viel trinken!,” rüge ich ihn vorwurfsvoll.
“Ist doch gar nicht viel.Ich hör ja schon auf.”
Aber die Flasche hat schon seine Wirkung getan.Claus wird müde und legt sich auf das Sofa, wo er bald darauf schnarchend einschläft.
Na toll! Wir wollten doch zusammen in die Christmette gehen!
Dann geh ich eben alleine. Und überhaupt gehe ich gleich ganz weg und komme nie wieder zurück. Ja, das mach ich. Mir reicht es jetzt! Soll er doch sehen, wie er alleine klar kommt. Er braucht mich doch sowieso nicht, er braucht nur seinen Alkohol.
Mit dieser Wut im Bauch ziehe ich mich an und mach mich auf den Weg in unsere Kirche auf dem Berg. Obwohl ich bereits eine halbe Stunde vor Mitternach da bin, ist die Kirche schon ziemlich gefüllt und ich finde grade noch ein Plätzchen in der letzten Reihe. Die Kirche ist wunderschön geschmückt und viele Kerzen brennen an zwei großen Weihnachtsbäumen, die vorne am Altar stehen. Eine große Krippe mit holzgeschnitzen Figuren, die Josef und Maria mit dem Jesuskind darstellen, steht auch da.
Meine Gedanken schlagen Purzelbäume. Wo soll ich eigentlich hingehen? Egal, nur weg von hier. Vielleicht fährt nachts noch ein Zug irgendwohin? Und die Kinder, was soll aus ihnen werden? Sie brauchen mich doch. Sie brauchen mich nicht mehr, sagt eine innere Stimme. Sie sind erwachsen und müssen ihr eigenes Leben leben. Und meine Eltern, was werden sie sagen? Vielleicht verstehen sie mich ja. Was wird dann aus Claus? Er wird jeden Halt verlieren, sagt die eine Stimme in mir. Und die andere Stimme sagt: Du must gehen, sonst gehst du selber zu Grunde. Ja, ich gehe. Sobald die Christmette zu Ende ist, werde ich gehen!
Die Orgel ertönt, der Pfarrer betritt mit seinen Ministranten die Kirche. Es sind heute sehr viele Ministranten in rot-weißen Gewändern. Alle tragen eine große Kerze in den Händen. In feierlichem Einzug marschieren sie zuerst den Seitengang entlang und gehen dann durch den Mittelgang nach vorne zum Altar. Ein Chor beginnt zu singen. Es ist eine sehr feierliche Messe. Dann begibt sich der Priester auf die Kanzel zur Weihnachtspredigt. Normalerweise wird diese Kanzel schon lange nicht mehr benutzt.Nur einmal im Jahr zu Weihnachten wird sie geschmückt und darf die Stimme des Pfarrers von dort oben erschallen lassen.
“Liebe Pfarrgemeinde”, beginnt er. Zuerst spricht er von der Hektik der letzten Zeit, der wohl niemand entgeht. Dann erzählt er vom Kummer und Leid der Menschen überall auf der Welt. Und dass es Hoffnung gibt. Hoffnung für jeden von uns. Gott hat uns seinen Sohn geschickt. Als kleines Kind kam er zu uns in die Welt, um uns seinen Frieden zu bringen. Wir müssen ihn nur annehmen und glauben. Glaube, Hoffnung und Liebe, das ist die Botschaft von Weihnachten und Frieden für uns alle. Der Pfarrer sieht mich an und mir ist es, als spräche er nur zu mir ganz allein.
Glaube, Hoffnung und Liebe! Frieden auch für mich? Warum bin ich zurück gekommen in die Vergangenheit? Jetzt kann ich gehen und mein Leben neu gestalten. Ich hab eine zweite Chance! Ich werde sie nutzen!

Nach der Christmette bleibe ich noch ein paar Minuten in der Kirche und bete. Dann mache ich mich auf den Weg – nach Hause.
Claus kommt mir schon an der Tür entgegen.
“Wo warst Du denn?”
“In der Christmette. Es war sehr schön!”
“Ich wollte doch gerne mitgehen. Es tut mir leid, dass ich verschlafen hab!”
“Dann gehen wir morgen zusammen in die Kirche, einverstanden?”
Das machen wir dann auch und Claus verspricht mir an der Weihnachtskrippe, dass er mit dem Trinken aufhört.
Zuhause bereite ich das Mittagessen vor und schalte das Radio ein.
“Last Christmas” ertönt es laut und ich singe mit.
In meinem Kopf gibt es einen Stich. Ich stehe in der Küche an der Arbeitsfläche und rolle ein Stück Teig mit Hilfe einer Frischhaltefolie aus. Statt Kipferln steche ich Engel aus. draußen liegt zentimeterdick der Schnee. Alles sieht so märchenhaft aus. Die Hausdächer sind mit einem Schneemantel überzogen und die Bäume tragen kleine Pelzmützen.
Claus kommt in die Küche und gibt mir einen Kuss.
“Mhm, das riecht aber gut!”
“Du must Dich noch etwas gedulden, bis die Plätzchen fertig sind”, sage ich.
Last Christmas!
“Weisst Du noch, letztes Jahr?” sagt er und hält mich fest. “Das wird aber nie mehr passieren!”
“Ich weiss!”
Claus hat eine Therapie gemacht und seitdem nie wieder getrunken. Er wird es schaffen.
Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am andern Morgen erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an dem Türpfosten, den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold- und Silberflimmer hängen sah, da wusste er Bescheid. Er steckte die Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder. Das war eine Freude in dem kleinen Haus wie an keinem Weihnachtstag. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug, nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur alle nach dem Lichterbaum. Sie fassten sich an den Händen, tanzten um den Baum und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wussten, und selbst das Kleinste, das noch auf dem Arm getragen wurde, krähte, was es krähen konnte.
Als es hell lichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen, machten es nach, jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber Lichter, Äpfel und Nüsse hängten sie alle daran.
Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorf Haus bei Haus ein Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln und Lachen der Kinder.
Von da aus ist der Weihnachtsbaum über ganz Deutschland gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden den Kindern morgens beschert.

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