Die Weihnachtsmission

Klaus-Peter Behrens

sehr lange Weihnachtsgeschichte für Kinder ab 5 Jahren


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„Heiligabend fällt dieses Jahr aus!“

Irritiert sah der Weihnachtsmann von dem beeindruckenden Stapel der noch abzuarbeitenden Wunschzettel auf, der wie ein kleiner Berg auf seinem rot lackierten Schreibtisch thronte und musterte den Besucher mißbilligend, der es gewagt hatte, so einfach in sein Büro zu stürmen. Natürlich Vingo, ging es ihm durch den Kopf, während ein tiefer Seufzer seiner Brust entfleuchte. „Was ist denn nun schon wieder?“, fragte er den aufgebrachten Elfen, dessen Kopf gerade einmal über die Tischkante reichte. Aber die mangelnde Größe stand in keinem Verhältnis zu dem aufbrausenden Wesen des Elfen. Seine spitzen Ohren wackelten bedenklich als er Luft holte, um seinen Unmut kund zu tun.

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„Die Produktion für Actionfiguren läuft auf Hochtouren“, knurrte er.

„Das hör ich gern“, brummte der Weihnachtsmann, lehnte sich zurück und faltete die Hände über seinem, sich bedenklich spannenden Wams.

„Die Nachtschicht der Zwerge hat einen neuen Rekord im Verpacken von Computerspielen aufgestellt, und im Testlabor wird gerade eine neue Generation von Spielzeugpistolen im Science Fiktion Look zum Verschenken freigegeben.“

„Bestens, bestens“, freute sich der Weihnachtsmann, „und was soll dann der Zwergenaufstand? Entschuldigung“ brummte er, als sein Assistent, der Zwerg Zwolgo, verärgert von seiner Arbeit aufsah. „War nicht so gemeint.“

Dann wandte er sich wieder Vingo zu, der seine beiden Arme aufgebracht in die Seiten gestemmt hatte und den Weihnachtsmann aus Augen, die an grüne Jade erinnerten, fast ein wenig mitleidig ansah.

„Fällt Euch gar nichts auf?“, fragte Vingo. Irritiert sah der Weihnachtsmann sich um. Die Vorbereitungen für den Abend des Jahres liefen auf Hochtouren. Alles lief wie am Schnürchen. Sein Wams war frisch gebügelt, der Schlitten wurde gerade einer Generalinspektion unterzogen und selbst Rudolf das Rentier gab dieses Jahr Ruhe. Was wollte man mehr? Der Weihnachtsmann wußte es nicht und schüttelte daher zögerlich den Kopf. Worauf beim gehörnten Rentier wollte dieser Elf bloß hinaus?

„Seht Euch mal die Wunschzettel an. Wenn Ihr nur einen ernsthaften Wunsch darunter findet, der den Geist der Weihnacht widerspiegelt, striegle ich ab morgen die Rentiere.“

„Ich“, ächzte der Weihnachtsmann, „habe heute jede Menge Termine. Schlitteninspektion, Rentierprobeflug, Routenplanung und so weiter. Du kennst das ja. Da ist kein Platz für zusätzliche Marketingaktionen.“

„Ts, ts, ts“, bemerkte Vingo ironisch, der den sich windenden Weihnachtsmann betrachtete, als habe er ein störrisches Kind vor sich, während er aus den Tiefen seiner grünen Kleidung einen Stab hervorholte. Er versprühte kleine Leuchtsterne. „Die Belegschaft hat entschieden“, verkündete er in energischem Ton, während der Weihnachtsmann in seinem roten Wams zu schwitzen anfing. Das Ganze klang nicht gut.

„Ihr wollt auf dem Schlitten mitfahren?“, versuchte er, die Situation zu retten, während er in böser Vorahnung den Stab nicht aus den Augen ließ. Vingo schüttelte den Kopf und betrachtete Zwolgo mit einem vernichtenden Blick, der bei der Frage erfreut mit dem Kopf genickt hatte und nun plötzlich ein feuriges Interesse für die noch zu bearbeitende Post entwickelte. So eifrig hatte Vingo den Zwerg selten erlebt.

„Ihr habt bis heute Abend achtzehn Uhr Zeit, ein Kind, das den Glauben an den Weihnachtsmann verloren hat, davon zu überzeugen, daß es ihn doch gibt, ohne daß Ihr offenbaren dürft, daß Ihr der echte Weihnachtsmann seid. Ein Zauber wird verhindern, daß man Euch erkennt und Ihr auf Fragen, ob Ihr der echte Weihnachtsmann seid oder ähnliches, antworten könnt. Ihr würdet eine böse Überraschung erleben, solltet Ihr es versuchen. Und nun viel Glück.“ Mit einer theatralisch anmutenden Geste hob Vingo den Zauberstab, der eine Leuchtspur aus bunt glitzernden Sternen hinter sich herzog. „Wir alle vertrauen auf Euren Erfolg. Zeigt uns, daß der wahre Geist der Weihnacht noch immer lebt und unsere Aufgabe am Nordpol nicht sinnlos ist.“

Ein gleißender Sternenblitz schoß aus der Spitze des Stabes und ließ die Umgebung verblassen. Der Weihnachtsmann hatte plötzlich das Gefühl, in ein mit grellen Sternen angefüllten Abgrund zu fallen.

„Wo schickst du mich hin?“, brüllte er aus Leibeskräften, während er in erschreckendem Tempo tiefer und tiefer fiel.

„Nach Hamburg“, tönte schwach die Stimme des Elfen, den der Weihnachtsmann nur noch als blasses Schemen weit über ihm erkennen konnte. Dann verschluckte ihn endgültig die Kaskade aus bunten Sternen, und der Weihnachtsmann wußte, daß er die ungewöhnlichste und vielleicht wichtigste Reise seines Lebens antrat.

Schneeflocken wirbelten im einem verspielt anmutenden Reigen durcheinander und versperrten Svenja die Sicht auf den verwilderten Garten jenseits des alten Fensters. Der Wind ließ das alte Dachgebälk ächzen, als ahne das Haus, was ihm demnächst bevorstehen würde. Mit einem Seufzen wandte sie sich wieder dem Brief zu, der vor ihr auf dem Schulschreibtisch lag. Das blütenweiße Papier stand im krassen Gegensatz zum alten Holz des ausrangierten Schulschreibtisches, den Svenja so liebte. In nüchternen Worten hatte sie nun Schwarz auf Weiß, was sie seit Monaten nicht wahr haben wollte, aber tief in ihrem Inneren immer befürchtet hatte.

Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß das Waisenhaus mit Wirkung zum 31.01. des kommenden Jahres geschlossen wird.

Es folgte eine lapidare Begründung, die sich im Wesentlichen auf die hohe Vermittlungsrate der letzten Monate und den maroden Zustand des Objekts bezog sowie eine Andeutung zwischen den Zeilen hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft.

Das darf doch einfach nicht wahr sein, dachte Svenja und schlug mit der Faust derart wütend auf den Schreibtisch, daß sich Stuka erschrocken schnatternd von ihrem Ruhekissen erhob und aufgeregt mit den Flügeln schlagend durch das Zimmer watschelte.

„Tut mir leid Stuka, leg dich wieder hin“, beschwichtigte Svenja die aufgebrachte Graugans, die seit dem Herbst fest zum Inventar des Hauses gehörte. Vorwurfsvoll schnatternd watschelte Stuka wieder zu ihrem Kissen, nicht jedoch ohne einen sehnsuchtsvollen Blick nach draußen zu werfen, wie Svenja mitfühlend registrierte.

Die Gans vermißte den Sommer.

Vielleicht bedauerte sie es ja, es ihren Artgenossen nicht gleich getan und in den Süden gezogen zu sein, aber mit einem gebrochenen Flügel wäre das kaum möglich gewesen.

„Du hast Glück gehabt, daß dir das ausgerechnet bei uns passiert ist, sonst wärst du vermutlich als Braten geendet“, neckte sie die leise schnatternde Gans in Erinnerung an den Tag, als sie Stuka verletzt im Garten gefunden und versorgt hatte. Der Gans hatte die Pflege so gut gefallen, daß sie einfach nach ihrer Genesung geblieben und zum Liebling der Kinder geworden war. Svenja schmunzelte bei der Erinnerung, doch dann fiel ihr Blick wieder auf den Brief, und die Gegenwart holte sie unerbittlich ein.

All das Vertraute um sie herum war dem Untergang geweiht.

Was aus ihr wurde, war ihr dabei nicht so wichtig. Ganz anders fühlte sie aber, wenn sie an die Zukunft der Kinder dieses Heims dachte. Insbesondere an die Zukunft eines Kindes. Die Adoptionsverfahren waren abgeschlossen oder standen kurz vor dem Abschluß. Nur für ein Kind hatte sich bisher keiner interessiert.

Für Lisa.

Mit ihren fünf Jahren war sie das älteste Kind im Waisenhaus und damit alles andere als im vorteilhaften Vermittlungsalter. Jüngere Kinder waren gefragter. Svenja hatte das nie verstanden, denn sie hatte das Mädchen mit dem schwarzen Lockenschopf und den blitzenden blauen Augen sofort ins Herz geschlossen. Lisa, die bei einem Autounfall vor drei Jahren ihre Eltern verloren und keine anderen lebenden Verwandte hatte, hatte ihr Herz sofort im Sturm erobert. Svenja hatte sogar schon selbst ein Adoptionsantrag gestellt, war aber gescheitert. Alleinstehend, berufstätig, eine zu kleine Wohnung waren nur einige der Gründe gewesen, warum man ihren sozialen Hintergrund als ungeeignet eingestuft hatte.

Was das Herz fühlte, hatte keiner gefragt.

Genauso wenig wie jetzt.

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen, und die Stadt das Grundstück an einen Bauunternehmen lukrativ verkaufen.

Es war frustrierend.

Wenn Svenja jemals einen Weihnachtswunsch gehabt hatte, dann jetzt. Aber wer erfüllte einer enttäuschten, allein gelassenen Fünfundreißigjährigen schon noch Wünsche.

Der Weihnachtsmann?

Schön wäre es, aber an Wunder glaubte sie schon lange nicht mehr.

Der Weihnachtsmann hätte viel darum gegeben, wenn ihm ein kleines Wunder geholfen hätte, seine Landung sanft zu gestalten. Doch dem war nicht so. Mit einem schmerzhaften Aufklatschen endete die Reise abrupt in einem mächtigen Schneehaufen, aus dem er sich wie ein schlaftrunkener Bär auf die Füße kämpfte. Wütend wischte er sich den Schnee aus dem Gesicht, und stellte dabei entsetzt fest, daß er statt seines langen, gepflegten weißen Bartes nun über eine kurze, struppige Barttracht verfügte, die jedem Stadtstreicher zu Ehre gereicht hätte. Ein weiteres Abtasten ließ ihn erschrocken aufkeuchen, als er ein kahles Haupt ertastete, bar der üppigen weißen Haartracht, die sein Kopf bis eben noch geziert hatte, und sauber poliert war, wie eine Billardkugel.

Dieser verfluchte Elf! Rentierstriegeln wird dir noch wie ein Erholungsurlaub vorkommen, knurrte der Weihnachtsmann, während er die Inspektion fortsetzte. Natürlich war auch sein schönes rotes, magisch wärmendes Wams verschwunden. Statt dessen trug er nun einen schwarzen, ausgeleierten Rollkragenpullover unter einem grauen, kratzigen Wollmantel, der schon bessere Tage gesehen hatte und eine verblichene blaue Jeans nebst schwarzen Winterstiefeln. Eine Kombination, die mit dem Weihnachtsmann soviel gemein hatte, wie der Osterhase mit den Blues Brothers.

Das konnte ja heiter werden!

Wie sollte er in diesem Outfit bloß überzeugend sein?

Apropos überzeugend sein, rief sich der Weihnachtsmann in Erinnerung und nahm erst einmal seine Umgebung in Augenschein. Offenbar war er zumindest am richtigen Ort gelandet. Unter ihm lag ein Gewässer, in deren Mitte ein mächtiger, beleuchteter Weihnachtsbaum in den Himmel ragte, und am anderen Ufer konnte er die prächtig erleuchteten Fassaden diverser Kaufhäuser entdecken. Na dann wollen wir mal, sprach sich der Weihnachtsmann selber Mut zu, kämpfte sich den kurzen Weg zur Straße hinauf, wo auf mehreren Fahrspuren unzählige Fahrzeuge in beide Richtungen über eine gewaltige Brücke unbekannten Zielen entgegeneilten und machte sich auf den Weg. Es wäre doch gelacht, wenn er in dieser Umgebung nicht ein ungläubiges Kind zum Glauben an den Weihnachtsmann bekehren könnte.

s gibt keinen Weihnachtsmann. Genauso wenig, wie den Mann im Mond, ET oder nette Jungs“, brummte Lisa und gab dem kleinen Willi einen liebevollen Tritt, als dieser versuchte, sie in den Fuß zu beißen.

„Natürlich gibt es ihn“, protestierte die dreijährige Tina, die zusammen mit Svenja und ein paar anderen Kindern damit beschäftigt war, mit Hilfe einiger Tannenzapfen, Streichhölzer, Eicheln, Kastanien und Kleber kleine Figuren zu basteln. Eine Beschäftigung, die allen außer Lisa viel Spaß bereitete.

„Und warum hat er mir nie einen Wunsch erfüllt?“, klagte Lisa.

„Vielleicht mag er dich nicht“, überlegte Tina, „dich mag doch sowieso keiner“

„Tina!“, ermahnte Svenja die Dreijährige, während Lisa auf dem Absatz kehrt machte und beleidigt die knarrende Holztreppe ins Obergeschoß hinauf stürmte, wo die Kinderzimmer lagen. Einen Augenblick später knallte eine Tür derart heftig ins Schloß, daß die Fenster leise klirrten. Svenja zuckte zusammen. Als hätte sie nicht schon genug Probleme. Mit einem Seufzen erhob sie sich und ging zur Treppe hinüber. Es war schon ungerecht, daß es keinen Weihnachtsmann gab, der Lisas Wunsch erfüllen konnte, denn Svenja konnte sich gut vorstellen, wie ihr sehnlichster Wunsch aussah.

„Ho, ho, ho, willkommen in unserem Weihnachtsparadies. Ein Stück Schokolade gefällig“, begrüßte den Weihnachtsmann eine Prachtausgabe von Werbeweihnachtsmann, als er vor der glitzernden Fassade eines Kaufhauses anhielt. Um ihn herum wuselten die Menschen wie die Ameisen auf der Flucht herum. Neid überkam den Weihnachtsmann, als er sein Gegenüber musterte. So sollte eigentlich ich aussehen, dann hätte ich es deutlich leichter, meinen Auftrag zu erfüllen, dachte er und grübelte über seine verfahrene Situation nach. Warum sollte er eigentlich nicht so aussehen? Gut, er durfte sich nicht als wahrer Weihnachtsmann offenbaren, aber niemand hatte ihm verboten, in die Rolle eines Werbeweihnachtsmanns zu schlüpfen. Alles eine Frage der Auslegung, resümierte er, dann wandte er sich an sein Gegenüber.

„Wie bekomme ich so einen Job?“

„Über Herrn Petersen, Personalabteilung, erster Stock. Die haben am Umsatz stärksten Tag des Jahres immer Bedarf. Aber überlege Dir das gut, Kumpel, der Job ist streßig.“

„Wem sagst du das,“, brummte der Weihnachtsmann und verschwand im Inneren des Kaufhauses.

Das Vordringen zu Herrn Petersen gestaltete sich schwieriger, als das Hirndurchzwängen durch einen zu engen Kamin, in dem die Holzkohle noch qualmte. Aber schließlich hatte er es geschafft und wartete auf das erste Bewerbungsgespräch seines Lebens. Verstohlen musterte er den Personalchef hinter seinem beeindruckenden Schreibtisch, dessen Gesichtsausdruck so ausdruckslos war, als habe er sich gerade eine Jahresration Botox injiziert. Der Weihnachtsmann fand es geradezu grotesk, daß ausgerechnet ein Mensch mit der Ausstrahlung eines Grönlandgletschers darüber zu bestimmen hatte, wer für die Kinder den Weihnachtsmann geben durfte. Sein Blick wanderte besorgt zu dem Bewerbungsbogen, den er nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt hatte und den Herr Petersen nun aufmerksam las. Seine Laune wurde dabei zusehends schlechter. „Nun“, hub er schließlich an und nahm seine Brille ab, „ich bin ein Mann mit Humor….“ Der Weihnachtsmann unterdrückte ein Auflachen, denn seiner Ansicht nach hatte Herr Petersen genauso viel Sinn für Humor, wie ein Eisbär, dem man gerade in die bepelzte Kehrseite getreten hatte. „..aber d a s läßt selbst mir das Lachen vergehen!“, fuhr Herr Petersen fort. „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“

Aufgebracht fuchtelte er mit dem Bewerbungsbogen vor dem Gesicht des Weihnachtsmanns herum. „Name: Santa Klaus, Alter: zweihundertfünfzig Jahre!“, brachte er mit bebender Stimme hervor. „Wohnsitz: Nordpol!, Erfahrung: circa zwei Millionen Weihnachtsauftritte weltweit, Sonstiges: Rentierflugschein! Sind Sie noch ganz gesund?“, schnappte Herr Petersen.

„Wenn man dem Elf Hippokrates Glauben schenken mag, leide ich lediglich unter leichtem Ischias, aber wir kommen ja alle in die Jahre“, bekundete der Weihnachtsmann gutmütig, während er besorgt beobachtete, wie Herr Petersen ein Glas mit kleinen roten Pillen zutage förderte. „Aber ich weiß gar nicht, warum Sie sich aufregen. Ich dachte, Sie wollten einen überzeugenden Weihnachtsmann“, versuchte er den angeschlagen wirkenden Personalchef zu beruhigen.

„Na schön, was soll’s.“ Ein halbes Dutzend rote Pillen wechselten den Aufenthaltsort. „Man wird ohnehin verrückt in diesem Job, da kann es nicht schaden, wenn man es schon ist.“ Er kicherte nervös. „Sie kennen Ihre Aufgabe?“

„Den Kindern den Geist der Weihnacht nahe bringen und Freude und Frieden auf Erden verbreiten.“

„Das haben wir nicht im Verkaufsprogramm“, knurrte Herr Petersen, der schon wieder mit den Pillen liebäugelte. „Schluß mit den Scherzen. Sie manipulieren die lieben Kleinen so, daß sie ihre Eltern mit Wünschen quälen, die es – welch Wunder – zu Superangeboten in unserem Haus zu erwerben gibt. Also, wecken Sie ihre Bedürfnisse! Hier ist eine Liste mit dem Zeug, das wir noch losschlagen müssen.“

Irritiert nahm der Weihnachtsmann einen DIN A 4 Bogen entgegen, der eine erschreckend lange Aufzählung von fragwürdigem Spielzeug auflistete.

„Sehen Sie zu, daß Sie möglichst viel Monstermanartikel an das Kind kriegen. Davon haben wir noch ein ganzes Lager voll.“

„Monsterman?“, fragte der Weihnachtsmann irritiert.

Statt einer Antwort beförderte Herr Petersen eine circa dreißig Zentimeter hohe Plastikpuppe zutage, deren Gesicht derart furchteinflößend wirkte, daß selbst das unerschrockene Rentier Rudolf Reißaus genommen hätte.

„Monsterman!“, brachte Herr Petersen stolz hervor, dem man eine gewisse Ähnlichkeit mit der Figur nicht absprechen konnte.

„N….ne…nett“, stammelte der Weihnachtsmann, der unwillkürlich zurückzuckte und sich im Geiste eine Notiz machte, auf keinen Fall Monsterman in das Warenproduktmanagement am Nordpol aufzunehmen. Die Elfen würde der Schlag treffen.

„Bart, Kostüm etc. bekommen Sie von Frau Ziernich, unserer Ausrüsterin, außerdem einen Sack mit Werbeartikeln. Das sind Schokoladenweihnachtsmänner, aufgeklebt auf einen Pappweihnachtsbaum, auf dessen Rückseite unsere Special-Angebote zum Festtag aufgelistet sind, allen voran…“

„Monsterman?“, vermutete der Weihnachtsmann.

„Bingo! Ich sehe, Sie haben es begriffen. Und nun, sorgen Sie für Umsatz, und viel Spaß mit den kleinen Plagegeistern.“

Unzählige Schneeflocken wurden vom Wind gegen das Fenster getrieben, blieben kleben, vergingen und hinterließen feuchte Spuren auf dem Fensterglas. Svenja erinnerten sie unwillkürlich an Tränen. Unterhalb des Fensters lag Lisa auf ihrem Bett und hatte den Kopf in ihr Kissen vergraben. Ein Bär mit einer Weihnachtsmütze auf dem Plüschohr saß auf der Fensterbank und schaute traurig mit seinen Knopfaugen auf sie herunter.

„Wünsche gehen in Erfüllung. Man muss nur fest daran glauben“, sagte Svenja leise. Die alten Stahlfedern quietschten, als sie sich zu Lisa aufs Bett setzte und ihr über das Haar strich.

„Ich kann an nichts mehr glauben“, schluchzte Lisa, „und schon gar nicht an den Weihnachtsmann. Alle anderen Kinder werden bald eine Familie haben, nur ich bleibe allein. Und dabei will ich doch nur, daß du meine Mama wirst. Warum geht das nicht?“

„Wer sagt, daß das nicht geht?“

„Du“, schluchzte Lisa. „Du hast gesagt, ich muss vielleicht weg von hier, in ein anderes Heim, ohne dich. Und ich habe doch nur dich. Ich will dich nicht verlieren!“ Das Schluchzen wurde herzzerreißend.

„Das wirst du nie. Heute ist Weihnachten, da gehen Wünsche in Erfüllung, vertrau mir.“

Svenja schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. In Momenten, wie diesen, hatte sie das Gefühl, das ganze Leid der Welt auf ihren schmalen Schultern zu tragen. Sie liebte dieses Kind, aber wie sollte sie ihm erklären, daß es diejenigen, die über Lisas Zukunft zu entscheiden hatten, nicht interessierte?

Wie sollte irgend jemand dies einer verzweifelten Fünfjährigen begreiflich machen?

Svenja wußte es nicht. Rational betrachtet mochte die Entscheidung des Fürsorgeamtes nachvollziehbar sein, mit dem Herzen war sie es nicht. Wenn doch nur ein Wunder geschehen würde.

„Driving home for Christmas….“, raunte Chris Rea mit gewohnt rauchiger Stimme, während der Weihnachtsmann in einem zu engen, zwickenden Kostüm durch die Gänge des Warenhauses schlurfte und die Elfen verfluchte, die ihn in diese Lage gebracht hatten.

„With a thousand memories….“

Wem sagst du das, dachte der Weihnachtsmann wehmütig, der sich verlegen unter der Perücke kratzte. Das Desinfektionsmittel, das ihm Frau Ziernich mit der in die Jahre gekommenen Haartracht in die Hand gedrückt hatte, ließ Schlimmes erahnen. An den Bart wollte er lieber gar nicht erst denken.

„Ich will Schokolade!“

Erstaunt blickte der Weihnachtsmann nach unten und entdeckte an der Hand einer elegant gekleideten Frau einen circa vierjährigen Jungen, der in einen farbenfrohen Parka gekleidet war und ihn herausfordernd ansah.

„Aber gerne, mein Kleiner“, brummte der Weihnachtsmann erfreut und kramte in seinem Sack nach einem Schokoladenwerbeträger. „Freust du dich schon auf den Weihnachtsmann heute abend?“

„Nein, auf Monsterman!“

„Und was ist mit mir?“, fragte der Weihnachtsmann mit gespielter Empörung.

„Du bist nicht echt!“, erwiderte der Kleine mit trotziger Miene, während er versuchte, den Weihnachtsmann gegen das Knie zu treten.

„Wir pflegen eine aufgeklärte Erziehung“, ließ sich die aufgestylte Mutter mit herablassender Stimme vernehmen. Sie machte keine Anstalten, ihrem talentierten Kind das Malträtieren des Weihnachtsmannes zu verbieten. „Wir halten nichts davon, unseren Kindern erst eine Fiktion von einer heilen Welt mit Fantasiefiguren vorzugaukeln, um dann ihr Weltbild wieder einzureißen. Das führt zu psychischen Störungen.“

„Sie sprechen aus Erfahrung?“, vermutete der Weihnachtsmann und erntete dafür einen Blick, der mit der Kälte des eisigen Polarwinds problemlos mithalten konnte.

„Komm, wir schauen mal nach Monsterman. Das ist interessanter, als diese Werbefigur“, lockte sie ihren Sohn.

„Oh jaaahhh, Monsterman“, stimmte ihr Sohn begeistert zu und landete endlich einen Treffer gegen das Knie des Weihnachtsmanns. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, als der Weihnachtsmann aufjaulte.

„Dir auch schöne Weihnachten“, rief er dem kleinen Quälgeist hinterher.

„Ja, ja, man hat’s schon nicht leicht hier“, ertönte eine mitfühlende Stimme hinter dem Weihnachtsmann. Der drehte sich um und sah sich unvermittelt seinem Ebenbild gegenüber. „Bist wohl auch als Verstärkung für die letzte Schlacht eingekauft worden“, vermutete das Ebenbild und hielt ihm die Hand hin. „Ich bin Manfred. Tust du mir einen Gefallen?“

Der Weihnachtsmann hob die Augenbrauen, während er automatisch die Hand seines Gegenübers schüttelte.

„Ich will mal einen Happen essen. Kannst du für mich einspringen und an meiner Stelle den kleinen Monstren in der Spielzeugabteilung Geschichten erzählen?“

„Gerne“, erwiderte der Weihnachtsmann, der plötzlich völlig neue Möglichkeiten am Horizont auftauchen sah. Geschichten erzählen, vom Geist der Weihnacht berichten. Ja, das konnte die Rettung sein.

„Danke, hast was gut von mir“, bedankte sich Manfred. Dann wandte er sich ab und tauchte in der Menge unter. Der Weihnachtsmann konnte ein freudiges Grinsen nicht unterdrücken.

Zum Teufel mit Monsterman!

In freudiger Erwartung humpelte er zur Spielzeugabteilung hinüber, wo ein mit rotem Samt bezogener, hochlehniger Stuhl inmitten einer künstlichen Schneelandschaft einladend auf ihn zu warten schien. Lediglich die beiden riesigen Stapel aufgeschichteter Monstermanverpackungen zu beiden Seiten der Kulisse störten ein wenig das idyllische Gesamtbild. Aber das war dem Weihnachtsmann im Augenblick egal. Mit einem Seufzen ließ er sich nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Und die ließen auch nicht lange auf sich warten.

Eine Mutter, mit jeweils einem Kind an der Hand und einem hochgradig gestreßtem Gesichtsausdruck, überantwortete ihm unvermittelt ihren Nachwuchs mit den Worten: „Das ist der Weihnachtsmann. Hört gut zu, was er euch zu sagen hat und was passiert, wenn ihr nicht artig seid.“ Um Unterstützung heischend sah sie den Weihnachtsmann an, dessen Oberschenkel umgehend von den Kindern in Beschlag genommen wurden. Links saß nun ein circa dreijähriges Mädchen mit einer bunten Winterwollmütze. Sein rechtes Bein war von einem etwa doppelt so altem Jungen besetzt, der ein typisches Lausbubengesicht hatte.

„Eine Geschichte, eine Geschichte“, bettelte das Mädchen,

„Ja, mit Monsterman“, ergänzte der Junge. „Kennst du die, bei der Monsterman die Superklaue hat und seinen Gegner damit bis hinter den Saturn schleudert? Die ist echt cool. So eine Klaue wünsche ich mir.“ Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, schlug er mit der Faust auf das malträtierte Knie des Weihnachtsmannes, der ein erneutes Aufjaulen gerade noch unterdrücken konnte.

„Was hast du denn mit der Klaue vor?“, fragte der Weihnachtsmann, dem Schlimmes schwante. Der Junge warf daraufhin einen bezeichnenden Blick zu seiner Schwester, so daß der Weihnachtsmann das Thema lieber nicht vertiefen wollte. Jenseits des Saturn herrschte ein verdammt rauhes Klima, nicht nur für kleine, dreijährige Mädchen.

„Was ist mit der Geschichte?“, quengelte die Kleine wie aufs Stichwort, worauf sich der Weihnachtsmann wieder an seine Mission erinnerte. Ein gütiges Lächeln überzog sein Gesicht. „Aber gerne“, brummte er. „Ich erzähle euch eine Geschichte vom wahren G e i s t der Weihnacht.“

„Geist?“, wisperte das Mädchen mit bebender Unterlippe. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß ein Ausbruch, der mindestens dem des Vesuv ebenbürtig wäre, unmittelbar bevorstand. Doch der Weihnachtsmann übersah das drohende Ungemach und fuhr fort, mit tiefer Stimme zu erzählen.

„Es begab sich in einer tiefen, dunklen Nacht..“

„Mamaaa!“

„in einer fernen Stadt namens…“

„Der macht mir Aaaannnngggsst!!!!“

Der Weihnachtsmann zuckte zusammen, als hätte er einen Huftritt von Rudolf abbekommen. Direkt gegen das rechte Knie.

Wie schafften es so kleine Kinder nur, ihr Organ mit der Lautstärke eines Nebelhorns erklingen zu lassen?

„Das war cool, Mann. Besser als Monsterman. Gibt’s davon eine CD? Die würde ich ihr gerne mal nachts vorpielen!“, fragte der Junge begeistert, der grinsend beobachtete, wie sich seine weinerliche Schwester in die Arme ihrer Mutter flüchtete. Der Ausdruck in ihren Augen, mit dem sie den Weihnachtsmann bedachte, hätte selbst den spanischen Inquisitatoren Furcht eingeflößt. Doch der Weihnachtsmann hatte derzeit andere Probleme. Eine Stimme, die gut zu Monsterman gepaßt hätte, erklang plötzlich drohend hinter ihm und veranlaßte nun auch den Jungen, zu seiner Mutter zu eilen.

„Sind Sie noch ganz bei Trost?“, wetterte Herr Petersen, der das Ganze mitbekommen hatte.

„Ich hab doch nur…“, protestierte der Weihnachtsmann.

„…meinen Kindern Angst eingeflößt!“, ergänzte Quengelsuses Mutter giftig den Satz. „Da kaufe ich doch lieber bei der Konkurrenz. Die haben dort mit Sicherheit Fachpersonal!“ Wutschnaubend machte sie auf dem Absatz kehrt und zog ihre beiden Kinder im Schlepptau hinter sich her. Nur der Junge drehte sich noch einmal um und hob den Daumen in die Höhe, dann verschluckte sie die durcheinander wuselnde Menschenmasse.

„Arbeiten Sie für die Konkurrenz?“, fragte Herr Petersen bissig.

„In gewissem Maße. Das ist schwer…“, erwiderte der Weihnachtsmann, doch auch diesmal kam er nicht dazu, den Satz zu Ende zu bringen.

„Bist du der echte Weihnachtsmann?“, fragte ein kleines Mädchen mit ehrfürchtiger Stimme, dessen Vater es behutsam in Richtung Weihnachtsmann schob. Erfreut beugte sich der Weihnachtsmann zu der erwartungsvoll blickenden Kleinen hinunter, indes Herr Petersen dem überrumpelten Vater die Liste mit den Sonderangeboten in die Finger drückte.

„Ich bin der wa wa www, der ww wa…“, stotterte der Weihnachtsmann, verstummte und lief rot an. Nun verstand er, was Vingo gemeint hatte. Er hatte keine Chance zu erklären, wer er wirklich war.

„Ich hab dich nicht verstanden, Weihnachtsmann“, flötete die Kleine.

„Der wawawa..“, versuchte der Weihnachtsmann es erneut, während Herr Petersen schon wieder kleine rote Pillen in sich hineinstopfte.

„Ja, er ist der wahre Weihnachtsmann, und hat ein paar schöne Vorschläge für deine Weihnachtswünsche“, säuselte er und versetzte dem Weihnachtsmann einen Stoß, der ihn beinahe vornüber hätte kippen lassen. „Nun bestätigen Sie das endlich“, fauchte er ihm ins Ohr.

„Der wa wa www www wawawa“, stammelte der Weihnachtsmann unglücklich, worauf sich eine steile Falte auf der Stirn der Kleinen bildete.

„Bist du etwa gar nicht der echte Weihnachtsmann?“

„Doch, das ist er. Glaub mir. Ich kenne seinen Lebenslauf. Er lebt normalerweise am Nordpol.“

„Da ist ihm wohl die Sprache eingefroren“, kommentierte der Vater der Kleinen das Ganze trocken.

„Wawaw www“, protestierte der Weihnachtsmann.

„Komm mit, der Weihnachtsmann ist heute ein wenig überlastet“, tröstete er die Kleine, während Herr Petersen vor Verlegenheit derart rot anlief, als würde für Feuerlöscher werben. Die Konsequenz auf die Glanzvorstellung des Weihnachtsmannes ließ nicht lange auf sich warten. Keine fünf Minuten später fand er sich seines Kostüms beraubt vor die Tür gesetzt wieder.

„Driving home for Christmas…“, empfahl ihm Chris, während der Sicherheitsmann, der ihn freundlich aber bestimmt vor die Tür komplimentiert hatte, deutlichere Worte fand.

„Lassen Sie sich hier nicht wieder blicken! Sie haben Hausverbot. Schöne Weihnachten.“

Der Weihnachtsmann war deprimiert. Einsam und verlassen ließ er sich auf dem breiten Fußgängerweg mit der Menge treiben. Noch nie in seinem Leben hatte er sich am vierundzwanzigsten Dezember so unglücklich gefühlt. In der Ferne schlug die Rathausuhr zweimal und ließ ihn zusammenzucken. Noch vier Stunden, dann war die Frist abgelaufen. In diesem Moment höchster Not spürte der Weihnachtsmann plötzlich, daß er in einem anderen Teil der Stadt gebraucht wurde. Es war ein unbestimmtes, nicht zu greifendes Gefühl, das ihn an längst vergangene Zeiten erinnerte und seine Schritte zielstrebig über die breite Treppe eines S-Bahneingangs in den Bauch der Erde hinab lenkte. Unzählige Menschen drängten sich dort hinab, während mindestens ebenso viele nach oben strebten, dem Einkaufswahnsinn entgegen. Zum Erstaunen des Weihnachtsmannes spielte eine Etage tiefer eine zerlumpte Gestalt Weihnachtslieder auf der Gitarre und sang dazu. Die Hoffnungslosigkeit im Blick des jungen Sängers rührte das Herz des Weihnachtsmannes, und er machte sich im Geiste eine Notiz, daß hier sein Einsatz erforderlich war. Vielleicht hatte Ruphus, der Elf, eine Idee, wie man dem Unglücklichen helfen konnte, dessen Elend von den meisten vorbei gehenden Menschen ignoriert wurde. Der Weihnachtsmann verstand das nicht. Wie konnte man es nur über das Herz bringen, an diesem heiligen Tag das Leid anderer zu ignorieren? Hatten die Elfen wirklich Recht damit, daß vom Geist der Weihnacht nicht mehr viel übrig war? War Weihnachten tatsächlich nichts anderes mehr, als eine einzige Kauforgie, bar jeglichen Gedankens an das, was hinter diesem Tag stand?

Bedrückt stieg der Weihnachtsmann die nächste, nicht enden wollende Treppe hinab und dachte an Ruphus, der dem Weihnachtsmann mit seinen Zauberkräften schon öfter bei der Erfüllung von Wünschen geholfen hatte, und das nicht nur bei Kindern, erinnerte er sich an eine nicht ganz so stille Nacht, in der sie gemeinsam Harro, den Hofhund, die kleine Tina und ihre Eltern glücklich gemacht hatten. Aber die Hilfe für den vom Schicksal gebeutelten Sänger musste noch ein wenig warten. Zunächst galt es, die Mission zu erfüllen, anderenfalls würde er niemanden mehr helfen können. Unten angekommen, zwängte er sich in einen überfüllten Waggon. Die Anzeige auf dem Bahnhof verriet das Ziel. „Poppenbüttel“ lautete die Endstation.

Während die Bahnstationen an dem Weihnachtsmann vorbeizogen wie Perlen auf einer Schnur, hatte sich in einem anderen Teil der Stadt Lisa wieder beruhigt. Methodisch zwängte sie sich in ihre warme Winterkleidung und freute sie sich auf das, was nun gemeinsam mit Svenja anstand:

Der Kauf des Weihnachtsbaumes.

Wie im vergangenen Jahr auch bestand Svenja darauf, den Baum erst am Tag des Festes zu kaufen. Ihrer Ansicht nach bekam so wenigstens noch einer der vielen Bäume, der keinen Abnehmer gefunden und ansonsten im Schredder gelandet wäre, die Gelegenheit, ein letztes Mal in seinem Leben die Herzen der Betrachter zu erfreuen.

Außerdem waren Bäume am letzten Tag günstiger.

Das Feilschen mit dem Verkäufer am Bergstedter Markt, der jedesmal den Eindruck erweckte, als würde ihn der Schlag treffen, wenn Svenja ihr Gebot für einen Baum abgab, gehörte daher, ebenso wie das Transportieren des Weihnachtsbaumes auf dem betagten Damenrad, zum festen Bestandteil des Weihnachtsfestes. Zwar lieferte der Händler den Baum gegen ein kleines Entgelt auch an, aber das paßte nicht zu Svenjas Auffassung von Weihnachten. Die Freude war ihrer Ansicht nach größer, wenn der Baum nach mühsamen Transport durch den tiefen Schnee in der guten Stube stand.

„Bist du soweit?“, fragte sie Lisa, die sie mit großen Augen ansah. Das Mädchen nickte nachdrücklich und griff nach der Hand ihrer großen Freundin.

„Na dann los.“ Der kalte Winterwind trieb schwungvoll Schneeflocken in den Flur, als Svenja die alte Eingangstür öffnete. „Wir sind in einer Stunde wieder hier“, rief sie ihrer Kollegin Vera zu, dann verschwand sie mit Lisa in den kalten Wintertag.

In Poppenbüttel angekommen, bestieg der Weihnachtsmann derweil einen rotweiß lackierten Bus, der ihn nach Bergstedt bringen würde. Er wußte noch immer nicht, was ihn dorthin zog, aber er war zuversichtlich, daß er es herausfinden würde. Mit jedem Meter, den er sich seinem Ziel näherte, spürte er mehr, daß er gebraucht wurde und daß sich dort seine Mission vielleicht doch noch erfolgreich beenden lassen würde.

Schon bald wurde die Umgebung ländlicher. Dies gefiel dem Weihnachtsmann schon deutlich besser, als die vom Kaufrausch dominierte Innenstadt. In den meisten Vorgärten der schneebedeckten Einfamilienhäuser spendeten phantasievolle Weihnachtsbeleuchtungen ein warmes Licht, welche das Herz des Weihnachtsmannes erwärmten. Zu seiner Freude, hatte es zudem angefangen zu schneien. Dieses Jahr brauchte niemand von einer weißen Weihnacht nur zu träumen.

„Zehn Euro, das ist mein letztes Wort!“

Der südländisch wirkende Händler rollte bei diesen Worten mit den Augen und rang verzweifelt die Hände, als hätte Svenja ihm vorgeschlagen, für diesen Preis seinen Lieferwagen gleich mit erwerben zu wollen.

„Wollen Sie, daß meine Kinder verhungern und der Hund friert?“, fragte er mit melodramatischer Stimme.

„Eben nicht, darum kaufe ich Ihnen ja einen der letzten Bäume zu einem hohen Preis ab.“

Der Händler hob daraufhin die Hände in einer hilflos anmutenden Geste gen Himmel, als würde er von dort Unterstützung erwarten, doch das Einzige was von dort kam, war jede Menge Schnee. „Womit habe ich das nur verdient?“, beklagte er sich bei niemanden bestimmten, während Svenja, der das Ganze einen Riesenspaß machte, Lisa aufmunternd zuzwinkerte. Wie vorher abgesprochen, schaltete sich nun die Kleine in das Gespräch ein.

„Der hat ja kaum noch Nadeln“, quengelte sie mit Kleinkinderstimme und sorgte so dafür, daß den Händler beinahe der Schlag traf.

„Keine Nadeln“, ächzte er ungläubig, angesichts des satten, üppigen Grüns, in dem sich der Baum präsentierte.

„Und krumm ist er auch.“

„Das Kind braucht dringend eine Brille“, wandte sich der Händler empört an Svenja. Die musterte mit kritischem Gesichtsausdruck die wunderschöne, kerzengerade und mannshohe Nordmanntanne, die ihr der Händler am ausgestreckten Arm präsentierte.

„Lisa hat Recht“, beteuerte sie mit Unschuldsmiene. „Die stammt ja noch aus dem letzten Jahr. Fünf Euro wären angemessener, inklusive Ständer.“

Der Weihnachtsmann hatte derweil sein Ziel erreicht, den Bergstedter Markt. Versonnen blickte er dem Bus hinterher, der schnell im dichten Schneetreiben verschwand. Dann sah er sich sein Ziel genauer an. Sein Blick fiel auf eine hübsche Kirche, zu deren Füßen ein kleiner, gemütlicher Tannenbaumstand die letzten Bäume präsentierte.

War dies der richtige Ort?

Er würde es herausfinden.

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